Betrugsmasche mit Verhinderungspflege: Leidtragende sind die Pflegenden Angehörigen
Der Wahnsinn rund um die Ausbeutung der Pflegenden Angehörigen hat neue Ausmaße angenommen. Wie aktuell bekannt wurde, bereichern sich sogenannte externe „Pflegeberater“ am Verhinderungsgeld. Das bedeutet, weder die Pflegenden Angehörigen noch die Pflegebedürftigen haben etwas davon, sondern nicht pflegende, gesunde Personen bereichern sich auf Kosten dieser und der Krankenkassen!
Verhinderungspflege: Entlastung für pflegende Angehörige – aber auch anfällig für Missbrauch
Pflegende Angehörige leisten täglich Großes – und auch sie brauchen hin und wieder eine Pause. Um das zu ermöglichen, gibt es die sogenannte Verhinderungspflege: Pflegebedürftige haben Anspruch auf bis zu 2.500 Euro pro Jahr, wenn ihre private Pflegeperson vorübergehend ausfällt, etwa wegen Urlaub oder Krankheit. Das Geld soll dafür genutzt werden, eine Ersatzpflege zu organisieren – zum Beispiel durch Nachbarn, Bekannte oder professionelle Kräfte.
Die Nachfrage nach dieser Leistung ist in den letzten Jahren stark gestiegen: 2022 gaben die Pflegekassen dafür rund 2,1 Milliarden Euro aus, 2023 waren es bereits 2,6 Milliarden Euro und im Jahr 2024 sogar über 3 Milliarden Euro – ein jährlicher Zuwachs von mehr als 20 %.
Doch mit dem Boom steigt auch das Risiko des Missbrauchs. Medienrecherchen und interne Berichte der Krankenkassen zeigen: In vielen Fällen wird Verhinderungspflege abgerechnet, obwohl sie gar nicht erbracht wurde. Die Anträge gelten als vergleichsweise einfach zu stellen, Kontrollen sind selten. So entstehen offenbar Schlupflöcher, die teils auch kriminelle Strukturen für sich nutzen.
In besonders schweren Fällen sollen organisierte Gruppen wiederholt Leistungen erschlichen haben – oft, indem sie das fehlende Wissen pflegebedürftiger Menschen über die Antragstellung gezielt ausnutzen. Immer wieder stehen auch Einzelpersonen im Fokus der Ermittlungen, wie etwa eine Pflegeberaterin, die für zahlreiche Versicherte gleichzeitig Leistungen beantragt haben soll – ohne deren Wissen oder ohne dass eine echte Ersatzpflege stattfand.
Zwar haben viele Pflegekassen mittlerweile spezielle Stellen zur Aufdeckung von Fehlverhalten eingerichtet, doch oft werden Unregelmäßigkeiten nur durch Zufall entdeckt – etwa, wenn gleichzeitig Krankenhausaufenthalte dokumentiert sind oder identische Kontodaten bei mehreren Fällen auftauchen.
Trotz dieser Problematik ist und bleibt die Verhinderungspflege eine wichtige Unterstützung für Familien, die ihre Angehörigen selbst betreuen. Entscheidend ist, dass Aufklärung, Transparenz und gezielte Kontrollen verbessert werden – damit die Hilfe wirklich bei denen ankommt, die sie brauchen.
Wie beantragt man Verhinderungspflege?
Pflegende Angehörige können Verhinderungspflege ganz unkompliziert bei der Pflegekasse der pflegebedürftigen Person beantragen. Voraussetzung ist, dass der oder die Pflegebedürftige mindestens Pflegegrad 2 hat und zuvor mindestens sechs Monate zu Hause von einer Privatperson – in der Regel einem Angehörigen – gepflegt wurde.
Der Antrag muss nicht zwingend vor der Ersatzpflege gestellt werden, sollte aber möglichst frühzeitig erfolgen. Viele Kassen stellen Formulare online zur Verfügung oder versenden diese auf Anfrage. Wichtig ist: Nachweise über die Ersatzpflege (zum Beispiel Quittungen oder unterschriebene Stundenzettel) sollten eingereicht werden, um die Kosten erstattet zu bekommen.
Die Verhinderungspflege kann stundenweise oder für mehrere Tage oder Wochen am Stück genutzt werden – je nachdem, wie lange die reguläre Pflegeperson verhindert ist. Die maximale Summe liegt aktuell bei 1.612 Euro pro Jahr, sie kann aber durch Kombination mit der Kurzzeitpflege auf bis zu 2.418 Euro aufgestockt werden.
Wie kann es sein, dass auch Dritte einen Antrag stellen?
Grundsätzlich dürfen Anträge auch durch eine bevollmächtigte Person gestellt werden. Das ist sinnvoll – etwa wenn ein Angehöriger selbst nicht mehr gut lesen oder schreiben kann oder sprachliche Hürden bestehen. In diesen Fällen wird häufig eine Vollmacht erteilt, damit eine andere Person – zum Beispiel ein Familienmitglied, ein Nachbar oder ein Pflegeberater – die Anträge im Namen des Pflegebedürftigen stellt.
Doch genau hier entsteht ein Risiko: Wenn die Vollmacht nicht gut kontrolliert oder missbraucht wird, kann es dazu kommen, dass Leistungen beantragt und abgerechnet werden, ohne dass die Ersatzpflege tatsächlich erfolgt ist. Besonders problematisch ist das, wenn pflegebedürftige Menschen nicht wissen, dass in ihrem Namen Geld beantragt wurde – oder wenn ihnen lediglich ein kleiner Teil der Summe ausbezahlt wird und der Großteil in fremde Taschen wandert.
Um dem vorzubeugen, empfiehlt es sich, folgende Punkte zu beachten:
- Vollmachten nur sehr gezielt und schriftlich vergeben
- Nur vertrauenswürdige Personen mit Anträgen beauftragen
- Nachweise über durchgeführte Ersatzpflege anfordern oder selbst dokumentieren
- Bei Unklarheiten die Pflegekasse direkt kontaktieren
So kann sichergestellt werden, dass die Verhinderungspflege als das genutzt wird, wofür sie gedacht ist: als wertvolle Entlastung für pflegende Angehörige – und nicht als Schlupfloch für Betrug.
Wer sind die Pflegeberater, die in Betrugsfälle verwickelt sind?
In den bekannt gewordenen Fällen handelt es sich in der Regel nicht um die klassischen Pflegeberaterinnen und -berater, die im Auftrag der Pflegekassen tätig sind und beispielsweise die gesetzlich vorgeschriebenen halbjährlichen Beratungsbesuche (§ 37.3 SGB XI) durchführen.
Vielmehr geht es um private oder gewerbliche Pflegeberater, die ihre Dienste auf dem freien Markt anbieten. Diese externen Berater versprechen Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen, sie bei Anträgen, Formularen und Behördenkontakten zu entlasten – gegen Honorar oder über eine Beteiligung an den beantragten Leistungen.
Sie nutzen dabei oft gezielt die Unwissenheit oder Sprachbarrieren älterer oder nicht-deutschsprachiger Menschen aus. In manchen Fällen liegt sogar eine organisierte kriminelle Struktur dahinter, wie z. B. in dem aufgedeckten Fall aus Bayreuth: Dort hatte eine Pflegeberaterin, die zuvor ein Praktikum bei der Pflegekasse absolviert hatte, ihre internen Kenntnisse genutzt, um systematisch Anträge auf Verhinderungspflege zu stellen – für bis zu 100 Pflegebedürftige, häufig ohne deren Wissen oder ohne dass die Leistung tatsächlich erbracht wurde.
Problem: Kaum Kontrolle, einfache Anträge
Der Missbrauch wird begünstigt durch zwei Dinge:
- Die Anträge auf Verhinderungspflege sind relativ formlos und einfach zu stellen – oft reichen wenige Angaben und eine Unterschrift.
- Die Pflegekassen kontrollieren selten, ob die Pflege tatsächlich stattgefunden hat, vor allem bei privat organisierten Ersatzpflegepersonen.
Das öffnet Tür und Tor für betrügerische Anbieter, die sich als „Pflegeberater“ ausgeben, aber in Wirklichkeit gezielt auf die Abzweigung von Leistungen aus sind. Sie versprechen Betroffenen „Urlaubsgeld von der Pflegekasse“ und behalten den Großteil der Summe selbst ein – oft gegen ein „Dankeschön“ von 100 bis 200 Euro für die Senioren.
Was Angehörige wissen sollten
Wenn pflegebedürftige Menschen sich Hilfe bei Formularen holen möchten, sollten Angehörige besonders wachsam sein:
- Nicht jedem „Pflegeberater“ blind vertrauen. Prüfen, ob es sich um eine offiziell anerkannte Stelle handelt (z. B. Pflegestützpunkt, Pflegekasse oder anerkannte Wohlfahrtsverbände).
- Keine Vollmachten leichtfertig ausstellen. Wer eine Generalvollmacht erteilt, erlaubt der Person, in seinem Namen Leistungen zu beantragen – auch missbräuchlich.
- Im Zweifel selbst bei der Pflegekasse nachfragen. Die Kassen bieten oft kostenlose Beratungen an – neutral und ohne Eigeninteresse.
🔍 Achtung bei privaten Pflegeberatern
Immer häufiger werben selbsternannte Pflegeberater damit, Pflegebedürftige und ihre Angehörigen bei Anträgen zu unterstützen. Doch nicht alle sind seriös. In manchen Fällen handelt es sich um organisierte Betrugsmaschen. So schützen Sie sich:
- Vertrauen Sie nur anerkannten Stellen wie Pflegekassen, Pflegestützpunkten oder Wohlfahrtsverbänden.
- Seien Sie vorsichtig mit Vollmachten. Geben Sie niemandem ohne Prüfung die Erlaubnis, in Ihrem Namen Anträge zu stellen.
- Hinterfragen Sie Angebote wie „Urlaubsgeld von der Pflegekasse“. Solche Aussagen deuten oft auf unseriöse Anbieter hin.
- Informieren Sie sich direkt bei Ihrer Pflegekasse. Dort erhalten Sie kostenfreie und neutrale Beratung.
- Dokumentieren Sie alle Leistungen schriftlich. So behalten Sie den Überblick und vermeiden Missbrauch.
Tipp: Bei Unsicherheiten kann auch die örtliche Verbraucherzentrale weiterhelfen.
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