Schuldgefühle in der Trauer: Wenn Pflegende Angehörige sich Vorwürfe machen

Die Pflege eines geliebten Menschen, sei es ein Elternteil, ein Partner oder ein Geschwisterteil, der schwer krank ist oder im Alter Unterstützung benötigt, ist eine der nobelsten Aufgaben, die wir übernehmen können. Es erfordert nicht nur Hingabe, sondern auch Opferbereitschaft, Geduld und eine starke emotionale Belastbarkeit. Doch selbst wenn man alles gibt, kann es vorkommen, dass sich Pflegende Angehörige nach dem Tod ihres geliebten Menschen von Schuldgefühlen überwältigt fühlen.

Die Rolle der Pflegenden Angehörigen

Pflegende Angehörige sind die ungefeierten Helden des Alltags in unserer Zeit. Es gibt immer mehr davon, doch die Gesellschaft sieht sie kaum. Die meisten Menschen, die nicht unmittelbar vom Thema Pflege betroffen sind, wollen nichts davon wissen und verdrängen, dass es sie selbst jederzeit treffen könnte

Pflegende Angehörige sind aber Menschen wie du und ich, die sich früher auch nicht hätten vorstellen können, einen Verwandten zu pflegen. Aber wenn die Situation da ist, reagieren viele Menschen anders, als sie selbst gedacht hätten. Und so finden sich sehr viele in der Situation wieder plötzlich Pflegende zu sein.

Und das oft in einem Alter, wo es eigentlich nicht „passt“. Pflege passt eigentlich nie, aber es gibt Altersphasen, wo die Pflege besonders massiv in die Lebensplanung oder Gesundheit der Pflegenden einschneidet.

Pflege ist besonders unpassend, wenn der Pflegende Angehörige noch recht jung ist, selbst in der Ausbildung und dabei sich eine berufliche Existenz aufzubauen. Erst recht, wenn es sich noch um Minderjährige handelt. In diesen Fällen sollte die Gesellschaft/ der Staat einschreiten, damit sich die Pflegenden Angehörigen nicht ihre Zukunft verbauen. Es braucht dringend mehr flexible Entlastung für Pflegende Angehörige.

Pflege ist auch dann unpassend, wenn die Person, die pflegt, selbst schon krank, alt und oder gebrechlich ist. Aber es gibt leider sehr viele Menschen, auf die all diese Faktoren zutreffen. Auch Mütter von kleinen Kindern müssen pflegen, obwohl sie bereits völlig ausgelastet sind.

Aber auch Personen in den mittleren Jahren, die keine Kinder haben, sind deshalb nicht besonders geeignet. Denn auch sie haben ihre eigene Biographie. Eigentlich passt Pflege nie ins Leben und doch entscheiden sich so viele Angehörige dafür. Umso trauriger, dass sie sich nach dem Tod ihres Verwandten noch mit Schuldgefühlen plagen und dem schlechten Gewissen, nicht alles richtig gemacht zu haben, zu ungeduldig gewesen zu sein oder falsche Entscheidungen getroffen zu haben.

Schuldgefühle in der Trauer – angebracht oder nicht?

In einem Forum für Trauernde Pflegende Angehörige kam in letzter Zeit immer öfter das Thema Schuldgefühle auf. Ich finde, dass es in den meisten geschilderten Fällen völlig unangebracht ist, als Pflegender Angehöriger, der sein eigenes Leben zu ca. 75 % der Pflege geopfert hat, am Ende noch Schuldgefühle zu haben.

Ich schrieb einen Post zu dem Thema, der von den Admins leider nicht freigegeben wurde, da Kritik an Politik etc. nicht erwünscht ist. Ich möchte kurz schildern, was ich darüber denke:
Die Schuldgefühle der Pflegenden Angehörigen kommen von ihrem Selbstverständnis, welches wiederum von unserer Gesellschaft so gefördert ist. Pflegende Angehörige werden weder von ihrem Umfeld genügend unterstützt und in ihrer Tätigkeit wertgeschätzt, noch von den Krankenkassen, denen sie sehr viel Geld sparen, noch vom Staat und der Gesellschaft allgemein.

Sie rutschen immer mehr in eine ganz komische Rolle in unserer Gesellschaft hinein. Je mehr sie Tag für Tag in der Pflege leisten, umso weniger wird das beachtet und entschädigt. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass man außerhalb der Pflege für kleinere Pflichten, Arbeiten oder wenn man auch nur selbst sich krank fühlt, mehr Anerkennung, Mitleid und Verständnis erntet, als wenn man täglich jemanden privat pflegt und Aufgaben und Pflichten hat, die sich andere nicht vorstellen können oder wollen.

Diese Ignoranz des Umfelds und unserer Gesellschaft mindern das Selbstbewusstsein der Pflegenden und zwar stetig, wie der Tropfen den Stein höhlt. Pflegende werden von der Gesellschaft ja auch überhaupt nicht gefeiert, gelobt und bewundert wie beispielsweise Influencer, die eigentlich gar nichts leisten, als ihren Vergnügungen nachgehen und sich dafür feiern.

Es gibt tausende anderer „Leistungen“ und „Arbeiten“, für die unsere Gesellschaft Menschen belohnt, aber nicht für Pflege und erbrachte soziale Leistungen. Pflegende Angehörige fühlen sich daher nicht wirklich zur Leistungs- und Showgesellschaft dazugehörig. Sie haben nichts zu protzen, vorzuweisen.

Viele merken also gar nicht, wie sie immer mehr leisten, immer weniger dafür bekommen, sei es Geld oder soziale Anerkennung und so kommen sie in einen Teufelskreis, der am Ende der Pflege, nach dem Tod des Angehörigen, dann auch noch in Schuldgefühlen mündet!

Man muss sich dies mal vorstellen: Auf der einen Seite die Pflegenden Angehörigen, die Jahre ihres Lebens ihrem Verwandten widmen, die Krankenschwester, Seelsorger, Haushälter, Entertainer, Koch und Begleiter für die Kranken in allen Lebenslagen sind und zudem schwere Entscheidungen, was die Medikation und die Behandlung trifft, treffen müssen.

Und auf der anderen Seite sind Menschen, die nicht pflegen, ihrem Beruf nachgehen, ihren familiären Dingen und Pflichten. Aber die, die gepflegt haben, machen sich am Ende Vorwürfe, nicht „alles“ gegeben zu haben, dabei haben sie doch an jedem Tag 150 % gegeben.

Es ist einfach paradox.

Die Schuldgefühle, die Pflegende Angehörige nach dem Tod ihres geliebten Menschen empfinden können, sind oft vielschichtig. Hier sind einige häufige Gründe, warum diese Schuldgefühle auftreten:

Warum Schuldgefühle?

Pflegende Angehörige sind oft über Jahre hinweg 24h für das Wohl und Überleben eines Verwandten zuständig. Wenn dieser dann stirbt, haben sie oftmals das Gefühl, versagt zu haben. Und das obwohl sie bereits viele Jahre der einzige Grund waren, warum der Verwandte noch lebte!

Es ist diese Fixierung auf die Pflicht und die hohe Konzentration auf diese Aufgabe, die am Ende dazu führt, dass viele Pflegende Angehörige ihre Leistung selbst gar nicht mehr realistisch einschätzen können! Die Ignoranz unserer Gesellschaft fördert das.

Das Gefühl des Versagens

Pflegende Angehörige setzen sich oft unrealistische Maßstäbe, weil sie mit der Situation so alleine sind. Sie glauben, dass sie jede Beschwerde/Krankheit heilen können müssten oder jede Situation verbessern können sollten. Wenn der geliebte Mensch trotz aller Anstrengungen verstirbt, können sie sich selbst als Versager betrachten und Schuldgefühle entwickeln.

Die Notwendigkeit, Entscheidungen zu treffen

Pflegende Angehörige müssen oft schwierige Entscheidungen treffen, insbesondere am Ende des Lebens ihres Angehörigen. Diese Entscheidungen können moralische Dilemmata beinhalten, wie die Wahl zwischen lebenserhaltenden Maßnahmen und palliativer Pflege. Diese Entscheidungen können später zu Schuldgefühlen führen, wenn Zweifel auftauchen.

Selbstfürsorge vernachlässigen

Pflegende Angehörige wissen nach Jahren der Pflege überhaupt nicht mehr, wie es ist, sich um sich selbst zu kümmern. Sie mussten so fixiert darauf sein, einem anderen zu helfen, dass sie am Ende gar nicht mehr spüren, wo die Grenze war, und dass sie nicht mehr tun konnten. Wer ist wohl schuld daran, wenn Pflegende Angehörige so denken? Ganz sicher nicht sie selbst. Sondern ein Umfeld und ein Staat, der sie ignoriert und alleine lässt.

Wege zur Bewältigung von Schuldgefühlen

Es ist wichtig zu verstehen, dass Schuldgefühle in der Trauer zwar normal sind, aber nicht rational und oft gar nicht angebracht! Daher möchte ich an dieser Stelle auch den Admins der Trauergruppe widersprechen. Diese haben geschrieben, Schuldgefühle sind Teil der Trauer und sollten hingenommen werden.

Das sehe ich absolut nicht so. Sicher sind Schuldgefühle Teile der Trauer bei anderen Todesfällen, aber Pflegende Angehörige übertreiben mit ihren Schuldgefühlen und haben kein Maß mehr. Sie waren so überlastet und alleine gelassen mit einfach Allem, dass sie nicht mehr spüren, dass sie bereits  ihre Grenzen überschritten hatten und Schuldgefühle einfach deplatziert sind.

Wenn sich die Schuldgefühle breit machen, und die Pflegenden Angehörigen regelrecht „auffressen“, zusätzlich zur Trauer, dann liegt das ausschließlich daran, dass unsere Gesellschaft das Denken der Pflegenden Angehörigen über die Jahre dahingehend manipuliert hat, dass sie nicht mehr erkennen, wie enorm groß die Lasten waren, die sie getragen haben, eben weil sie ihnen niemand abgenommen hat!

Bildlich gesprochen: Wenn ein Arbeiter alleine eine Schubkarre mit hundert schweren Steinen einen Berg hochfahren soll, weil niemand  Lust hat, ihm zu helfen, dann ist er nicht „schuld“ daran, wenn die Steine herunterkollern, sondern all die, die ihm hätten helfen können.

Beim Tod von Angehörigen sind es dann noch die schweren Entscheidungen am Ende, die die ohnehin überlasteten Angehörigen treffen müssen.

junge frau, die wütend den Finger erhebt und schimpft

Wenn das innere Spiegelbild einem nach dem Tod des zu pflegenden Angehörigen Vorwürfe macht.

Hier sind einige Schritte, die helfen können, mit Schuldgefühlen umzugehen:

1. Akzeptanz und Selbstvergebung

Es ist entscheidend, die eigene Rolle in der Pflege und im Sterbeprozess zu akzeptieren. Niemand kann alles kontrollieren oder vorhersagen. Sich selbst zu vergeben und zu akzeptieren, dass man sein Bestes gegeben hat, ist der erste Schritt zur Heilung.

2. Professionelle Unterstützung

Pflegende Angehörige sollten nicht zögern, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen, um ihre Gefühle zu verarbeiten, wenn es einfach nicht besser wird. Therapeuten und Berater können wertvolle Unterstützung bieten und helfen, Schuldgefühle zu bewältigen.

3. Selbstfürsorge

Nachdem die Pflegeverantwortung beendet ist, sollten Pflegende Angehörige Zeit für die eigene Erholung einplanen. Dies kann die Wiederherstellung von persönlichen Hobbys und sozialen Aktivitäten umfassen, um die eigene Lebensqualität zu verbessern.

4. Austausch mit anderen

Der Austausch von Erfahrungen und Gefühlen mit anderen Pflegenden Angehörigen kann sehr hilfreich sein. Es gibt Selbsthilfegruppen und Online-Communities, in denen man sich unterstützt fühlen kann.

5. Die Endlichkeit des Lebens akzeptieren

Irgendwann ist der Punkt gekommen, da für jeden das Leben zu Ende gehen soll. Wenn Leid, Schmerzen und Depressionen jeden Tag vergällen, muss man den Tod als Erlösung begreifen. Dazu ist es wichtig, spiritueller zu denken und sich damit zu befassen, was nach dem Tod kommt.

Aus Nahtoderfahrungen weiß man inzwischen, dass es weitergeht und die Menschen von der anderen Seite eigentlich gar nicht mehr zurück wollen. Den Tod als „Heimkehr“ zu begreifen, hilft ihn zu akzeptieren. Allgemein fehlt in unserer moderner Gesellschaft ein gesunder Umgang mit Tod und Sterben. Viele kennen ihn nur aus den Krimis, wo Tod immer mit Mord, als unnatürlicher Prozess in Verbindung gebracht wird.

Geht man davon aus, dass das Leben nach dem Tod für die Seele weitergeht, so kann man sich auch vorstellen, wie der Verstorbene auf andere ihm nahe Verwandte und Freunde dort trifft und es ein großes Wiedersehen gibt. Ebenso muss man sich bewusst machen, dass alle Menschen, die aktuell leben, in spätestens 100 Jahren ebenso auf der anderen Seite sind.

Es hilft zudem, nach dem Tod eines nahen Menschen offen zu sein, für Hinweise und Zeichen. Die Verstorbenen senden uns gerne noch weiter kleine Nachrichten und zeigen, dass es ihnen gut geht und wir uns nicht so grämen und sorgen sollen. Vergraben wir uns in Trauer und Selbstvorwürfen, sind wir nicht empfänglich für solche Zeichen.

 

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