Sind alle Menschen dazu geeignet, zu pflegen?
In jedem Falle: Nein! Aber es hängt vom Alter und der Situation und der eigenen Lebenssituation ab, ob man dazu in der Lage ist. Viele Menschen würden eigentlich verneinen, schaffen es aber dann doch irgendwie, wenn ein Angehöriger betroffen ist.
Einen anderen Menschen zu pflegen, ist eine ganz besondere Herausforderung. Und einen anderen erwachsenen Menschen zu pflegen, noch mal eine ganz andere als ein Kind oder Halbwüchsige.
Wenn der zu pflegende Mensch früher vital, gesund und eigenständig war, kommt zu allem noch die psychische Last und Trauer dazu, dass der Mensch nicht mehr der Alte ist. Schlimme Unfälle, Schlaganfälle und Schicksalsschläge führen oft dazu, dass noch relativ junge Menschen zum Pflegefall werden.
Eine solche Situation überfordert natürlich die ganze Familie, stellt eine Ehe oder Partnerschaft unter Höchstbelastung und überlastet natürlich auch die Kinder, wenn es deren Eltern betrifft.
Die Situation, wenn ein Familienangehöriger zum Pflegefall wird, ist mit nichts anderem zu vergleichen. Als gesunder Mensch und als „gesunde“ Familie macht man sich gar keine Vorstellungen, was es bedeutet, wenn einer aus dem eigenen Kreis nicht mehr eigenständig ist und versorgt werden muss.
Es ist natürlich hilfreich, wenn man so etwas in der Familie vorher schon erlebt hat, etwa, wenn die Oma pflegebedürftig geworden ist und man noch nicht selbst pflegen musste, aber miterlebt, was alles getan werden muss.
Für körperliche Arbeiten ist nicht jeder geeignet
Pflege ist eine sehr spezielle Tätigkeit. Nicht umsonst entscheidet man sich normalerweise für diesen Beruf, weil man sich „berufen“ fühlt. Viele Pfleger sind auch trotz der hohen Belastung irgendwie zufrieden mit dem Beruf, weil sie gerne sozial arbeiten, sich um andere Menschen kümmern und weil sie gut geeignet sind, sich auch körperlich um andere zu kümmern.
Aber genau wie nicht jeder Masseur oder Chiropraktiker werden kann und will, ist einfach nicht jeder gleich gut dazu geeignet, andere Menschen zu pflegen. Es gibt sie einfach, die geborenen Pfleger und es gibt solche Menschen, die das Leben irgendwie zu dieser Tätigkeit gebracht hat – und dann gibt es noch die: Pflegenden Angehörigen…
Pflegende Angehöriger: Das kann jeder sein, wortwörtlich Du und Ich. Egal, welche Ausbildung man hatte, welche Fähigkeiten, Talente, welchen Beruf – es kann wirklich JEDEN treffen, von jetzt auf gleich ein Pflegender Angehöriger zu werden.
Natürlich kann man sich verweigern – und das sollte man auch tun, wenn man z.B. die zu pflegende Person nur gefährden würde oder wenn man selbst krank oder schwach ist oder psychisch nicht in der Lage oder wenn man starke Konflikte mit der Person hat. Es ist natürlich nicht jeder gezwungen, die Pflege zu übernehmen.
Aber es ist in sehr vielen Fällen schon so, dass es keine besseren Alternativen gibt, als dass die Familienangehörigen pflegen oder mitpflegen. In sehr vielen Fällen ist es die finanzielle Situation, die einen Heimaufenthalt nicht zulässt. Auch die Pflege durch einen Pflegedienst ist teuer und verbraucht das Pflegegeld, das dann für andere Maßnahmen nicht mehr reicht.
So kommt es, dass die finanzielle Situation Angehörige dazu zwingt, selbst zu pflegen. Aber nicht nur die Finanzen sind entscheidend. Es ist auch die Tatsache, dass man seinen Angehörigen nicht ins Heim geben mag oder dass man nicht zufrieden ist mit der Arbeit eines Pflegedienstes.
In den Pflegegruppen und Foren von Pflegenden Angehörigen kann man immer wieder lesen, dass Angehörige freiwillig wieder selbst pflegen, nachdem der Angehörige im Heim war oder er in der Pflege durch einen Pflegedienst nicht ausreichend versorgt wurde oder in der Abrechnung geprellt.
Das ist natürlich nicht zu verallgemeinern: Man kann nicht sagen, dass die Pflege im Heim grundsätzlich schlechter ist als die durch Angehörige und man kann auch die Pflegedienste niemals über einen Kamm scheren, aber man kann auch nicht leugnen, dass niemand die 1:1 Pflege leisten kann wie ein Angehöriger.
Die beste Alternative zur 1:1 Betreuung durch Angehörige ist natürlich die 24-Betreuung durch angestellte Pfleger. Aber seien wir ehrlich, diese Situation ist einfach ausbeuterisch und unnatürlich. Eine fremde Person muss 3 Monate Tag und Nacht bei einem Pflegebedürftigen zuhause verbringen, getrennt von der eigenen Familie und dem eigenen Zuhause.
Sie ist alleine für alles verantwortlich. Logisch, dass sie nicht alles perfekt für die Person erledigen kann. Korrespondenz mit dem Arzt kann nicht so erfolgen, wie durch Angehörige, auch wird sie nicht den Zustand der Person so genau einordnen können wie ein naher Angehöriger und sie wird auch nicht so auf die Medikamente und die Verträglichkeit schauen können und dürfen, weil das ihre Kompetenz überschreiten würde.
Viele Pflegebedürftige haben keinen Platz in der Wohnung für eine weitere Person oder können oder wollen nicht jemand Fremdes dort wohnen haben. Natürlich klappt es in vielen Fällen sehr gut, aber es ist einfach eine sehr unnatürliche Situation, die man nicht als ideal hinnehmen sollte.
Nicht geeignet, aber trotzdem Pflegender Angehöriger
Wenn man sich nicht für den Beruf in der Pflege entschieden hat und auch sonst für keinen körperlichen Beruf wie Physiotherapeut und ähnliches, so hat das ja seine Gründe. Nämlich, dass man z.B. lieber geistig arbeitet, ohne Körperkontakt.
Sehr wenige Menschen sind eigentlich dafür gemacht, den ganzen Tag Patienten zu transferieren, zu waschen, anzuziehen, Essen zu geben, Medikamente zu verabreichen, Verbände wechseln, Inkontinenzpflege und was noch alles ansteht. Und trotzdem müssen dies Pflegende Angehörige oft relativ plötzlich tun und können.
Natürlich sollte niemand unvorbereitet mit der Pflege loslegen. Daher gibt es in den Krankenhäusern und anderswo kleine Schulungen für die wichtigsten Griffe etc. Aber das Grundwissen und Know How zum Pflegen ist das eine, die Eignung eine andere.
Viele Angehörige haben nicht die Einstellung wie Krankenschwestern und Pfleger und diese neue Tätigkeit überfordert sie, liegt ihnen nicht und verlangt sehr viel von einem ab. Ja, natürlich ist auch Ekel und Abwehr dabei, einfach auch deshalb, weil es in der Natur des Menschen liegt, sich von den Ausscheidungen anderer Menschen fernzuhalten.
Trotz alledem kann der Mensch sehr viel, wenn es die Lage einfach erfordert! Wenn das Leiden eines Angehörigen im Vordergrund steht, können Angehörige auf einmal sehr viel, was sie sich vorher nie zugetraut hätten und wo auch andere Bekannte/Freunde/Verwandte immer sagen „Das könnte ich nicht.“ Aber auch diese könnten es wahrscheinlich, wenn es vonnöten wäre.
Fakt ist am Ende: Es ist im Grunde nicht in Ordnung, dass so viele Angehörige pflegen müssen, obwohl es ihnen gar nicht liegt. Auch wenn sie es schaffen und gut hinbekommen, wäre es besser, dies würden Personen übernehmen, die sich zu so einer Tätigkeit berufen fühlen. Das sollte von den Krankenkassen und der Regierung endlich realisiert werden.
Nur, weil unser Pflegesystem schlecht ist und es sehr bequem ist für die Krankenkassen, wenn die Angehörigen die Pflege übernehmen, heißt das nicht, dass das eine gute Lösung ist. Sehr viele Angehörige gehen an ihre eigenen körperlichen und psychischen Grenzen, einfach, weil niemand auf ihr Wohl und ihre Gesundheit schaut. Und weil die Hilfe und die Hilfsangebote schlichtweg nicht reichen oder unflexibel sind.
Titelbild: Bild von Use at your Ease auf Pixabay
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