Der Einstieg in die Pflege

Was unsere Gesellschaft und alle zuständigen Behörden, Krankenkassen etc. gerne verdrängen: Der Einstieg in die Pflege erfolgt für Pflegende Angehörige oft völlig abrupt. Manchmal sogar über Nacht, von einem Tag auf den anderen, wenn der Angehörige vor Schwäche nicht mehr aus dem Bett kommt und dort seinen Toilettengang verrichten muss.

Oft passiert es auch, dass Senioren eben noch einigermaßen laufen konnten, mit Rollator und dann von einem auf den anderen Tag nicht mehr, durch einen Sturz, Unsicherheiten und anderes. Dann kommen sie nämlich nicht automatisch ins Krankenhaus, sondern bleiben zuhause und müssen dort versorgt werden.

Nicht immer ist dann schon ein Pflegedienst involviert. Und sehr oft haben die örtlichen Pflegedienste keine Kapazitäten frei. Eine 24-Pflege lässt sich auch nicht so schnell organisieren. Wer muss also dann ran? Die Angehörigen, die in der Nähe wohnen, oder auch weit entfernt. Sie stehen dann da wie der Ochs vorm Berg und müssen auf die Schnelle Verrichtungen lernen, sich über Hilfsmittel informieren und Dinge tun, die Pflegefachkräfte über Jahre hinweg erlernen.

Die Sorge um den Angehörigen verleiht zwar neue Kräfte, aber in jedem Fall ist da in allen Bereichen Überforderung. Schon allein aufgrund der mangelnden Pflegekenntnisse. Doch unser Gesundheitssystem nimmt dies einfach so hin, nach dem Motto: „Irgendwer wird sich schon kümmern….“

Das Entlassmanagement im Krankenhaus ist nicht immer gut! Oft ist ein Pflegling, der nach Hause entlassen wird, noch lange nicht in der Lage dort zurecht zu kommen und hat nicht ausreichend Hilfe. Alle Mängel im System müssen die Pflegenden Angehörigen auf ihre Schultern nehmen und werden trotzdem nicht wirklich ernst genommen.

Pflegender Angehöriger über Nacht

Die Pflegesituation kann sich schleichend über Jahre hinweg ergeben, sodass die Angehörigen sich schrittweise an die neue Situation gewöhnen können, also in Ruhe Hilfsmittel aussuchen über einen Pflegegrad nachdenken, die Wohnung umbauen – aber sie kann auch recht plötzlich kommen.

Sich darauf vorbereiten kann im Grunde kein Pflegender Angehöriger, denn man kann im Leben nie für alles gewappnet sein. Es fehlt einfach sehr an Unterstützung für die Angehörigen. Es bräuchte schnelle, unbürokratische Hilfe, wenn ein Mensch zum Pflegefall wird. Es müsste Intensivkurse zuhause für die Angehörigen geben, damit sie direkt am Patient wichtige Handgriffe und Grundlegendes lernen können und alle Fragen beantwortet.

Ja, es gibt die Pflegeberatung. Aber diese schult nicht. Sie informiert vor allem über die finanziellen Belange, schaut nach dem Patienten, hält seinen Zustand fest und gibt auf Fragen auch Tipps ja. Was es aber zusätzlich bräuchte, wäre fundierte, fachliche Unterstützung im Pflegealltag. Das kann nicht zwischen Tür und Angel erfolgen und auch nicht nur in Gesprächen.

Um die Angehörigen richtig anzuleiten, müsste eine Pflegekraft anfangs den Alltag unterstützen, beim Waschen, Anziehen dabei sein. Beim Essen reichen und beim Umsetzen. Sie müsste die Angehörigen richtig anlernen, und alle Maßnahmen auf den Patienten und seinen Zustand hin anpassen.

Es wäre eigentlich eine Leichtes für die Krankenkassen, so etwas zu organisieren!!

Die Realität sieht anders aus: Der Pflegende Angehörige muss selber schauen, wo er sich sein Wissen und die benötigten Handgriffe und Fähigkeiten herholt. Es gibt zum Glück an vielen Orten in Krankenhäusern Kurse in Familialer Pflege. Diese bringen den Angehörigen kompakt das Wichtigste zur Pflege bei.

Allerdings kann dort nicht ganz individuell auf den Zustand der einzelnen Patienten eingegangen werden, sondern die Kurse werden allgemein gehalten. Sie stellen eine wichtige Einführung und Basis dar, aber sie reichen einfach nicht. Vor allem wird erwartet, dass  der Pflegende Angehörige seinen Pflegling zu Hause lässt und für mehrere Stunden diesen Kurs besucht.

Je nach Zustand des Pfleglings und je nach dem wie neu die Pflegesituation ist, kann es wiederum sehr belastend sein, wenn man als Pflegender Angehöriger den Kurs absolvieren soll. Es muss organisiert werden, dass in dieser Zeit jemand anderes den Patienten betreut.

Diese Kurse finden meist kompakt am Wochenende für mehrere Stunden statt. Da ist zwar besser als nichts, aber eben, wie ich finde, nicht ausreichend und unpassend, weil der Pflegende Angehörige grade zu Beginn der Pflegezeit nach Hause gehört an die Seite des zu Pflegenden.

Es sollte wirklich möglich sein, dass die Pflegenden Angehörigen ZUHAUSE geschult werden, am besten noch in kleiner Gruppe mit anderen Angehörigen und Freunden, die in der Pflege mal einspringen wollen. Oft wird eine Person abwechselnd gepflegt, den Kurs hat aber dann nur eine Person absolviert.

Learning by Doing – viel anderes bleibt einem nicht übrig

Nicht jeder wächst in den Pflegealltag hinein und nicht jedem Pflegenden Angehörigen liegen all diese Tätigkeiten. Es ist einfach nicht jeder Mensch gut dafür geeignet. Dazu kommt noch der emotionale Bezug in der Familie, die Sorgen und die Zweifel. Pflege bleibt einfach auch noch nach Jahren eine tägliche Herausforderung, auch weil sich der Zustand des Pfleglings ja immer wieder verändert.

Es bleibt Pflegenden Angehörigen nichts anderes übrig, als vieles selbst in der Praxis zu erlernen. Wann immer Zeit dafür da ist, muss man online schauen, dort gibt es Anleitungsvideos zum Windelwechseln, Umsetzen und Umlagern. Wir alle aber wissen, dass diese Videos im Grunde geschönt sind, denn die Patienten sind nicht wirklich gebrechlich, haben noch Spannung im Körper und machen mit.

Leider versuchen viele Pflegenden Angehörigen den Alltag einfach „irgendwie“ zu schaffen. Das heißt sie heben ihren Angehörigen „irgendwie“ aus dem Bett und setzen ihn „irgendwie“ um. Wir rückenschädigend und gefährlich viele Pflegenden Angehörigen im Alltag arbeiten, kann man an TV-Dokus sehen.

Da wird die schwergewichtige Ehefrau gemeinsam taumelnd und wackelnd aus dem Rollstuhl ins Bett gehievt und dort plumpsen gelassen. Eine Situation, die beide Personen sehr gefährlich ist. Erfahrene Pflegekräfte könnten den Angehörigen zeigen, wie man rückenschonend umsetzt. Sehr wichtig wären kinesiologische Griffe! Es gibt dies alles – es gibt Griffe, die das Umsetzen, Positionieren im Bett und das Anziehen enorm erleichtern, aber noch nicht einmal ausgebildete Pflegekräfte sind darin ausreichend geschult.

In der Realität hangelt sich der Pflegende Angehörige von Tag zu Tag und versucht aus Fehlern zu lernen. Schmerzen und Schädigungen der eigenen Gesundheit nehmen viele einfach hin, weil es keine bessere Lösung gibt und es an ausreichender Hilfe durch Fachkräfte mangelt.

Pflegende Angehörige sind der größte und am schlechtesten ausgebildete Pflegedienst dieses Landes.

Titelbild: Bild von Cor Gaasbeek auf Pixabay

 

 

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