Pflegenden Angehörigen fehlt der Respekt vor ihrer Arbeit

Immer wieder liest man in Zeitungsartikeln, Foren etc. dass den Pflegenden Angehörigen die Wertschätzung ihres Einsatz fehlt. Seitens der Behörden, der Gesellschaft und dem Umfeld. Aber das ist es in Wahrheit nicht, es ist schon der bloße Respekt, der fehlt.

Wertschätzung ist einfach das falsche Wort und niemand denkt weiter drüber nach. Auch die Pflegenden Angehörigen denken nicht weiter drüber nach, sondern nicken: „Klar, fehlt die Wertschätzung.“ Aber eigentlich ist es noch viel schlimmer! Es fehlt der bloße Respekt vor dem Einsatz, den Pflegende Angehörige täglich und allgemein zeigen.

Was definiert „Respekt“ überhaupt? Allgemein formuliert ist „Respekt eine Haltung der Anerkennung und Achtung gegenüber anderen Personen, deren Rechten, Gefühlen und Überzeugungen. Er drückt sich in einem respektvollen Umgang aus, bei dem die Würde und Individualität des Gegenübers geachtet werden.

Respekt beinhaltet auch Rücksichtnahme, Toleranz und die Bereitschaft, auf Augenhöhe zu kommunizieren und Meinungsverschiedenheiten friedlich zu lösen. In einem weiteren Sinne kann Respekt auch gegenüber sich selbst, der Natur und allgemein allem Lebendigen oder Kulturellen gezeigt werden.“

Respektloser Tonfall und Umgang mit Pflegenden Angehörigen

Wer anfängt, diese Mammutaufgabe, jemand anderen zu pflegen, zu übernehmen, der betritt eine andere, neue Welt. Vieles wird ab jetzt einfach grotesk, vor allem der Umgang anderer Menschen mit einem. Man fühlt sich oft wie in einem falschen Film.

Man sollte doch meinen, dass man eine Tätigkeit/Aufgabe übernommen hat, die andere gutheißen, respektieren und achten. Aber man bekommt die gegenteiligen Reaktionen. Statt einem Grundmaß an Respekt, wie man es im normalen Berufsleben und im Alltag in Geschäften gewohnt ist, wird man als Pflegender Angehöriger sogar richtig schlecht, nämlich, abfällig, genervt und erzieherisch behandelt.

Es ist keine Einbildung, es ist kein Einzelfall. Wer sich in den Foren und Gruppen von und für Pflegende Angehörige einliest, bekommt immer wieder das gleiche zu „hören“: Respektloses Runterputzen durch Verwandte, arrogantes Verhalten durch Ärzte und Therapeuten und das Schlimmste: Genervtes und abwimmelndes Verhalten seitens der Krankenkassen-Mitarbeiter. Dazu kommen die strengen, distanzierten, rein prüfenden  Mitarbeiter des Medizinischen Dienstes.

Statt, dass man den Pflegenden Angehörigen diese schwere Lebenssituation leichter macht, bekommen sie von allen Seiten einen drauf!

Das ist oft schwer auszuhalten und zu ertragen. Im normalen Leben könnte man sich Zeit nehmen und das alles analysieren, die Zeit fehlt aber während der Pflege, also „Augen zu und durch“. Wortwörtlich „zähneknirschend“ nimmt man vieles in Kauf und hält einfach nur durch. Nach der Pflegezeit fällt einem vieles auf und kann man einiges „verdauen“.

Pflegende Angehörige scheinen die anderen Menschen zu „stören“

Als erstes einmal ist das Verhalten vieler im Umfeld der Pflegenden Angehörigen so, als ob die Pflegenden sie einfach stören. Ihre Entscheidung, das eigene Leben hintanzustellen, stört extrem. Die Menschen im Umfeld haben Panik, man könnte so einen Einsatz auch von ihnen erwarten, was wohl kaum ein Pflegender Angehöriger wirklich erwarten würde, denn die meisten rutschen in die Situation einfach so hinein und hätten selbst früher auch nicht gedacht, dass sie einmal pflegen würden.

Es ist also keine aufopferungsvolle Entscheidung, so wie man Nonne oder Mönch wird. Sondern, das Leben fordert diese Entscheidung einfach von einem ab. Umso fieser ist es, wenn das Umfeld einem unterstellt, man wollte damit einen auf „Gutmensch“ machen. Das Schlimmste aber ist, dass das Umfeld die Pflegenden Angehörigen aus Selbstschutz heraus einfach mal so behandelt, damit sie sich ja nicht als etwas Besseres fühlen.

Pflegende Angehörige machen offensichtlich durch ihre bloße Existenz anderen gehörig schlechtes Gewissen. Aber das ist nicht ihre Absicht, sie sind einfach da. Sorry!

Ebenso werden Pflegende Angehörige gerne von ihrem Umfeld so behandelt, als ob sie etwas einfordern würden, was auch nicht der Fall ist.

Pflegende Angehörige haben nicht die Möglichkeit wie junge Eltern, von anderen Verständnis für den herausfordernden Alltag zu bekommen. Kaum jemand will etwas vom Alltag mit pflegebedürftigen Senioren hören, außer die, die es selbst kennen. Es ist eine völlig andere Welt als die von Eltern kleiner Kinder. Die Kleinen sind süß und unterhaltsam. Man kann sie im Alltag mitnehmen und zu Familienfeiern.

Junge Eltern sind stolz auf ihren Nachwuchs und können sich austauschen und mit anderen freuen. Das alles haben Pflegende Angehörige nicht. Es ist also absurd, wenn irgendjemand diese beiden Situationen gleichsetzt, nach dem Motto: „Ja, kenne ich, ich hab ja Kinder großgezogen und auch Windeln gewechselt.“

Pflegenden Angehörigen fehlt der Respekt vor ihrer Arbeit

Abwehrendes Verhalten wie bei Maria in der Weihnachtsnacht

Als Pflegender Angehöriger kommt man sich manchmal vor wie in der Jesusgeschichte, als Josef und Maria ständig von allen abgewiesen wurden und schließlich großzügig im Stall übernachten durften.

Abwehr zeigen zum Beispiel die Krankenkassen-Mitarbeiter, die nicht einfühlsam mit der schwierigen Situation der Pflege umgehen, sondern den Pflegenden Angehörigen gerne grundsätzlich als so etwas wie Schmarotzer ansehen und jede Frage wie Bettelei oder drohenden Betrug ansehen. Ja, es gibt wohl auch Pflegende Angehörige, die die Krankenkassen abzuzocken versuchen, aber es wird wohl eine Minderheit sein!

Die meisten Pflegenden Angehörigen arbeiten bis zur seelischen und/oder körperlichen Erschöpfung und zu Lasten der eigenen finanziellen Situation. Kein Mensch kann durch das popelige Pflegegeld reich werden!

Die Pflegeberatung und der Medizinische Dienst sind Prüforganisationen, die den Pflegenden Angehörigen auf die Finger schauen sollen. Und den Mitarbeitern ist das Prüfelement ihrer Tätigkeit meist wichtiger als die Pflegenden Angehörigen moralisch zu unterstützen.

Die Krankenkassen sind grundsätzlich misstrauisch den Pflegenden Angehörigen gegenüber und das, obwohl die Pflegenden Angehörigen ihnen Unsummen von Geld ersparen, wenn die Pflegebedürftigen nichts ins Heim gehen und wenn auch noch der Pflegedienst gespart wird, weil es für den Pflegebedürftigen so besser ist.

Von Dankbarkeit ist aber keine Spur! Arrogant und kritisch ablehnend, schlecht gelaunt und genervt sind die Mitarbeiter der Krankenkassen oft, und das, wo sie nur ihre saubere Bürotätigkeit absolvieren müssen und keine Ahnung vom echten Pflegealltag haben.

Eine weitere Personengruppe, mit denen Pflegende  Angehörige zu tun haben, sind die Ärzte und Therapeuten. Auch hier kann man im Umgang einiges bemängeln, leider.

Auf die Ärzte sind wir alle angewiesen. Daher ist man als Pflegender Angehöriger froh, wenn man an seinem Ort einen Hausarzt findet, der regelmäßig vorbeikommt. Das gleiche gilt für all die Therapeuten, die benötigt werden, Physiotherapie, Ergotherapie und was noch alles anfällt.

Als Pflegender Angehöriger ist man natürlich auf diese alle angewiesen und automatisch gezwungen, immer schön höflich und ja unterwürfig zu agieren. Auch, wenn einem der Umgangston nicht passt.

Therapeuten und Ärzte können oft auch nichts mit den Pflegenden Angehörigen anfangen. Ihr Fokus ist rein auf „ihren Patient“ gerichtet, denn der bringt ihnen das Geld. Dass der Patient oft nicht mehr selbstständig agieren kann und ohne die Pflegenden Angehörigen gar nicht so adrett und ordentlich vor ihnen sitzen oder erscheinen würde, wird gerne mal ignoriert.

Manche Therapeuten unterschätzen den Aufwand der Pflege zuhause enorm und erwarten sogar, dass man ihren Einsatz höher einschätzt und dankbarer ist. Sie erkennen nicht, dass den Pflegenden Angehörigen schlichtweg die Kraft fehlt, sie so zu hofieren, wie sie es bei anderen Patienten und deren Angehörigen, die jünger oder fitter sind, gewohnt sind.

Ja, es stimmt, in normalen Leben hält man mit seinem Therapeuten ein gut gelauntes Schwätzchen, man lädt bei Hausbesuchen vielleicht kurz zu Kaffee und Kuchen ein und schenkt den Therapeuten selbst vielleicht mehr Aufmerksamkeit – die Pflegenden Angehörigen sind dazu aber oft nicht mehr in der Lage!

Die Therapeuten sind für sie eigentlich Helfer und man erhofft sich von ihnen eine kurze Entlastung/ Auszeit von der Pflege, indem sich mal eine andere Person um die pflegebedürftige Person kümmert! Ja, sogar 30 Minuten Therapie durch eine andere Person sind für Pflegende Angehörige eine Verschnaufspause – und sorry, so benehmen sie sich dann halt auch während der Therapie!

Das bedeutet, sie sitzen erschöpft dabei oder sie gehen in einen anderen Raum. Da sie aber erschöpft und passiv dabei sitzen, denkt so mancher Therapeut, der Alltag in der Pflege sähe immer so aus und kapiert nicht, dass hier einfach nur mal eine Auszeit genommen wird.

Andere Therapeuten entlasten die Angehörigen dadurch nicht, dass sie den Patienten so nebenbei behandeln und trainieren, aber lieber ein Schwätzchen mit den Angehörigen führen möchten, weil diese nicht dement und anstrengend sind. Auch dieses Verhalten geht zu Lasten der Angehörigen, weil sie es dringend brauchen, dass sich mal eine andere Person um die Pflegebedürftigen kümmert, ihnen Aufmerksamkeit schenkt etc.

Ja, jetzt werden viele einwenden „Das muss man doch ansprechen und einfordern!“ Aber diese Position hat man nicht wirklich als Pflegender Angehöriger. Stellt man Forderungen, sind die ohnehin schwer zu bekommenden Therapeuten schnell wieder weg, ganz ähnlich wie die Pflegedienste.

Stein mit Aufschrift "Es gibt nichts Gutes, außer man tut es."

Fehlender Respekt in der öffentlichen Wahrnehmung

Dies alles ist aus dem Alltag von Pflegenden Angehörigen geplaudert, aber ein weiteres Feld ist die öffentliche Wahrnehmung, sind die Politiker und alle, die etwas über Pflege erzählen.

Auch und gerade hier fehlt es oft in der Wortwahl und im Umgang mit den Pflegenden Angehörigen an Respekt. Manchen männlichen Politikern merkt man sogar an, dass sie Pflegende Angehörige eher belächeln. Besonders, wenn dies Ehefrauen sind. Sie sehen diese dann als ältliche Hausmütterchen an, die den ganzen Tag beim Ehemann hocken und ihn betütteln, statt arbeiten zu gehen.

Sie sehen nicht die Vielfalt und die vielen Schicksale von Pflegenden Angehörigen. Es gibt auch viele junge Enkel, die die Großeltern pflegen und dafür ihr Studium hintanstellen.

Viele Politiker und Entscheidungsträger spielen Respekt nur vor. Hätten sie wirklich den nötigen Respekt, würden sie anders sprechen, agieren und entscheiden.

Was ist nun mit dem Wort Wertschätzung?

Weil so oft gesagt wird, den Pflegenden Angehörigen fehlt es an Wertschätzung ihrer Arbeit, werden sie nicht ernstgenommen. Es wird so interpretiert, als ob Pflegende Angehörige gelobt und hofiert, ausgezeichnet und bewundert werden wollen.

Das wollen sie aber gar nicht!! Sie erwarten nur einen Grundmaß an Respekt, wie er im normalen Leben auch vorhanden ist. Aber leider erleben es die meisten Pflegenden Angehörigen so, dass ihr Umfeld sowie die Öffentlichkeit ihnen den Respekt abzieht. Aus den oben genannten Gründen, aber auch deshalb, weil sie dann nicht mehr einen erfolgreichen Beruf ausüben.

Als Pflegender Angehöriger macht man ja weder Karriere, noch Geld oder erreicht Ruhm – das ist unglaublich uncool, nicht wahr? Wir leben in einer Leistungs- und  Ego-Gesellschaft. Daher ist es anscheinend wirklich nicht cool, sich selbst hintanzustellen und sich zeitweise in erster Linie um einen anderen Menschen zu kümmern.

Bewundert und respektiert werden heute „erfolgreiche“ Leute, das sind Stars und Sternchen, Reiche, Influencer, Sänger, Models. Leute, die sich selbst darstellen. Leute, die viel Geld machen, weil sie raffinierte Geschäftsmänner, Manager, Marketing-Profis sind.

Aber das ist nicht in allen Ländern und Gesellschaften so! In asiatischen Ländern wird Edelmut und Hingabe für andere Menschen hoch eingeschätzt. Im Buddhismus kann man die Pflege andere Menschen als meditativen Akt und als Weg zu Erleuchtung ansehen. Hierzulande ist man einfach nur jemand, der offensichtlich beruflich gescheitert ist, sonst würde man „sowas“ ja nicht machen.

Wie man sieht, ist „Wertschätzung“ etwas, was man man in diesem Land ohnehin nicht erwarten kann als Pflegender Angehöriger. Aber das macht uns nicht so viel aus. Viel, viel schlimmer und das eigentliche Problem ist der fehlender Respekt.

 

 

Nora Jahnsen

 

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