Pflegende Angehörige und ihre Rolle in der Gesellschaft

Zu diesem Thema werden wir wohl noch öfter etwas schreiben. Denn eines der Hauptprobleme von Pflegenden Angehörigen ist ihre mangelnde Sichtbarkeit in der Gesellschaft und der Politik. Oft werden wir einfach übergangen.

Beispiel Corona-Pandemie. Während man endlich einmal beachtete, was Pflegekräfte leisten und dass sie entlastet werden müssten und besser bezahlt (was kaum geschehen ist), hat die Politik uns Pflegende Angehörige vollkommen ignoriert.

Und so ist es die ganze Zeit: Wir werden nicht wahrgenommen, sind aber der größte Pflegedienst Deutschlands! Das ist längst erwiesen! Mittlerweile werden 85 % aller Pflegebedürftigen in Deutschland zu Hause gepflegt und betreut und das geht nicht ohne Angehörige. Auch wenn 24-h-Hilfen vor Ort sind, können diese nicht alles erledigen.

Der ganze bürokratische Aufwand, das Verhandeln mit den Krankenkassen, Behördengänge, Steuererklärungen etc. pepe müssen die Angehörigen erledigen, natürlich unentgeltlich. Aber es ist ein wahnsinniger Aufwand. Weiß doch jeder, dass schon die eigenen Angelegenheiten stressen in diesen Punkten, so kommt das alles noch für eine andere erwachsene Person hinzu, wo man gar nicht so den Einblick in alles hat: Versicherungen, Verträge, Abonnements, Spendenaufträge usw.

Pflegende Angehörige haben einfach einen sehr hohen Zeitaufwand. Dazu kommt die nervliche und körperliche Belastung und immer die Sorge um den Angehörigen. Auch die Unsicherheit, ob man alles richtig macht und die Tatsache, dass man nicht vom Fach ist.

Trotz der Lasten, die Pflegende Angehörige tragen, werden sie von der Gesellschaft aber nicht wirklich ernst genommen. Die Politik schiebt sie gerne zur Seite. Bei TV-Diskussionen werden die Vertreter der Pflegenden Angehörigen wie Stiefkinder behandelt. Oft sogar ein bisschen belächelt und es wird über den Mund gefahren.

Warum? Weil sie keine Politiker sind, keine Lobby haben und weil immer noch viele denken, Pflege ist so etwas wie Hausfrauenkram. “Das machen die Leute, die keinen guten Beruf haben, die nicht wichtig genug sind, in der Gesellschaft.” Aber weit gefehlt! Oft geben Pflegende Angehörige gute Jobs auf um einen nahen Angehörigen zu pflegen.

Pflegende Angehörige können sich nicht groß wehren. Sie können nicht streiken, denn dann ist der Angehörige nicht versorgt. Und wen würde es interessieren, wenn sie streiken würden? Es betrifft ja nur deren Familie. Es ist einfach sehr bequem für den Staat und alle Behörden, die Pflegenden Angehörigen hilflos und überlastet vor sich hin wurschteln zu lassen. Denn sie wissen ja, dass sie ihren erkrankten Angehörigen nicht im Stich lassen werden.

Pflegende Angehörige sind ungelernte “Krankenschwestern”, permanent für den Gesundheitszustand des Pfleglings zuständig.

Allerdings geht die Pflege sehr auf die Gesundheit der Pflegenden und bewirkt, dass diese kaum oder zu wenig Geld verdienen, was den Staat dann doch irgendwie stört. Daher wird hier und da an manchen Zahnrädchen gedreht, aber es sind nur Tropfen auf dem heißen Stein.

Die jüngst beschlossene Auszeit, die sich Pflegende Angehörige vom Arbeitgeber nehmen dürfen, um ein paar Monate Zeit zu haben, die Pflege zu regeln, ist keine echte Lösung. Die Pflegesituation ist ja keine Frage der Organisation, sondern es bleibt schlichtweg vielen Angehörigen gar nichts anderes übrig, als selbst mit zu pflegen und den Beruf und das eigene Privatleben hinten an zu stellen.

In Wahrheit arbeiten Pflegende Angehörige zu einem nicht mehr vorhandenen Stundenlohn. Beispiel Pflegegrad 4: Hier bekommt der zu Pflegende aktuell 728 € im Monat Pflegegeld. Für dieses Geld muss der Pflegling aber 24 h am Tag betreut, versorgt werden! Er kann im Grunde nichts mehr alleine. Kein Essen zubereiten, einkaufen etc., sich nicht anziehen, aus dem Bett, auf Toilette, für Unterhaltung sorgen.

Es muss immer jemand da sein. Dabei rechnet die Krankenkasse noch nicht einmal damit, dass dieses Pflegegeld alleine für die Pflege genommen wird, also den Pflegenden Angehörigen gezahlt wird. Nein, es soll ja auch für Medikamente, Therapie-Zuzahlungen und Windeln und andere Hilfsmittel genommen werden. (Für Windeln zahlt die Krankenkasse so wenig im Monat, dass es nicht reicht.)

Nicht wenige Pflegende Angehörige pflegen sogar ganz kostenlos. In jedem Fall ist das Pflegegeld ein großer Witz im Verhältnis zum Aufwand der Pflege und all den Dingen, die zusätzlich erledigt werden müssen, wenn ein Mensch sich nicht mehr selbst helfen und seine Angelegenheiten regeln kann.

Pflegende Angehörige – die stumme Masse

Da alle Pflegenden Angehörigen stark eingebunden sind, in ihre täglichen Pflichten (und sie haben ja noch ein eigenes Leben, Familienmitglieder, Beruf, Krankheiten), können sie nicht für ihre Rechte kämpfen. Allenfalls online kann man sie sehen, in ihren Gruppen/Foren. Aber da sind sie unter sich und nicht Betroffene interessieren sich nicht für deren Belange.

Apropos Desinteresse: Während Pflegende Angehörige täglich Ausserordentliches leisten müssen, wofür man sich im normalen Leben ständig auf die Schulter klopfen würde, bekommen sie kaum Anerkennung, Dank und Entlohnung. Die meisten Menschen wollen nämlich nichts von Pflege, Krankheit und Tod wissen und verdrängen alles, was damit zusammenhängt.

Dabei betrifft das Thema Pflege immer mehr Menschen in unserer Gesellschaft. Die Menschen werden allgemein älter, aber nicht fitter, also pflegebedürftig.

Viele Aussenstehende verstehen schon mal gar nicht, warum man als Verwandter “selber” pflegt. Sie haben die naive Vorstellung, ein Pflegedienst würde schon alles richten. Sie beschäftigen sich auch nicht weiter mit dem Thema, wollen auch gar nicht wissen, dass ein Pflegedienst nur kurz vorbei kommt, für bestimmte Tätigkeiten, wie Anziehen, Waschen, Windelwechsel, Verbandswechsel, Medikamentengabe – je nachdem, was ausgemacht wurde -, aber dann sind die Personen wieder weg. Den Rest des Tages ist die hilflose Person sich selbst überlassen.

Ein Pflegedienst bereitet kein Essen, geht nicht einkaufen, erledigt keine Behördengänge, sorgt nicht für Unterhaltung, lagert den Patienten nicht immer wieder um, mobilisiert und aktiviert ihn etc. Das alles muss jemand anderes erledigen. Wer denn also, wenn keine 24-h-Kraft involviert ist? Die Angehörigen natürlich.

Man kann es, ohne zu übertreiben sagen, wir Pflegenden Angehörigen werden vom Staat, den Krankenkassen regelrecht ausgebeutet. Es wird nicht auf unsere Gesundheit, unser Wohlbefinden geachtet. Alle kleinen Hilfsangebote wie Kurzzeitpflege, (die ohnehin nur ca. 4 Wochen im Jahr bezahlt wird und dann werden zeitgleich die Renteneinzahlungen für die Pflegenden Angehörigen um die Hälfte gekürzt, während normale Arbeitnehmer bezahlten Urlaub bekommen und die Rente weiter gezahlt wird…), Verhinderungspflege (stundenweise zu sehr hohen Preisen…) und die Pflegeberatung sind lächerliche kleine Peanuts, die uns pro Forma hingeworfen werden.

All das muss sich dringend ändern.

 

 

Bild von Simon Berger auf Pixabay

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