Warum der 125 €-Entlastungsbeitrag so selten genutzt wird
Überrascht wird von den Medien immer wieder festgestellt, dass der 125 €-Entlastungsbeitrag so selten genutzt wird. Pflegende Angehörige wissen, warum: Weil es überall bürokratische Hürden gibt und zudem fehlende Angebote. Wie bei allen Unterstützungsmassnahmen hört es sich besser und grosszügiger an, als gemeint und umgesetzt wird.
Viele, die nicht selbst pflegen, wundern sich, warum diverse Hilfsangebote der Krankenkassen zu selten angenommen und genutzt werden. Sie wissen aber auch nicht, welch zusätzliche Last es für die Pflegenden Angehörigen bedeutet, sie zu beantragen und etwas Passendes in Abwägung anderer Kosten zu nutzen.
Die ganze Pflegesituation für Pflegende Angehörige ist ohnehin absurd und grotesk, zumindest in Deutschland, weil überall Widerstände sind und statt schneller flexibler Hilfe, Hürden eingebaut werden. Viele Pflegende Angehörige vermuten, dass es sogar Absicht ist, es ihnen extra schwer zu machen, sich finanzielle Hilfe zu holen.
Zum einen sollen die Pflegenden Angehörigen absolut selbstständig handeln, sich mit allen bürokratischen Dingen, die die Pflege betrifft, auskennen, zum anderen werden sie meist von den zuständigen Stellen von oben herab wie Bittsteller behandelt. Unser Pflegesystem ist keines, das mit Pflegenden Angehörigen Hand in Hand arbeitet und wo ein Rädchen in das andere läuft. Im Gegenteil. Das Schlimmste aber ist, dass der bürokratische Aufwand, die Widerstände und das Suchen nach Infos und Angeboten vor Ort, die man nutzen könnte, von der Pflegezeit abgeht.
Das bedeutet die hohen Hürden für die finanzielle Hilfe schadet den zu Pflegenden selbst. In dieser Studie des Portals pflege.de wurde ausgewertet, warum die Pflegenden Angehörigen die 125 € oft nicht in Anspruch nehmen: pflege.de-Studie-2024-Entlastungsbetrag.pdf
Hintergrund: Aktuell leben rund 5 Millionen pflegebedürftige Menschen in Deutschland.
Etwa 80 Prozent von ihnen werden zuhause und meist durch pflegende
Angehörige versorgt!
64 % der Befragten haben angegeben, dass die professionellen Dienstleister, die mit den Krankenkassen abrechnen, viel zu teuer sind. So kann man die 125 € kaum für Putzen und Haushaltsdienste nutzen, weil der Betrag förmlich dahinschmelzt, während eine normale Putzfrau nur einen Bruchteil des Preises nimmt.
Erschreckenderweise gaben 27 % der Befragten an noch nie etwas von diesem Entlastungsbeitrag gehört zu haben. Nun kann man nicht sagen, dass Pflegende Angehörige nicht informiert werden, aber es ist oft einfach zu viel Info. So gibt es die halbjährliche Pflegeberatung, die die Betroffenen über Hilfen informiert und zu Beginn der Pflege kann man z.B. in kurzen Workshops in Krankenhäusern erfahren, was einem alles zu steht, auch bekommt man Broschüren ausgehändigt.
Aber das ist in der alle überfordernden Pflegesituation oft viel zu viel Input. Der Pflegende Angehörige ist eingespannt zwischen den Verpflichtungen im eigenen Leben, Haushaltführung für den Pflegling, Pflege selbst und das Erledigen sämtlicher behördlicher Belange wie etwa die Steuererklärung für den Pflegling.
Neben all diesen Aufgaben soll er sich dann selbstständig informieren über die sehr kompliziert gestaffelten und ineinandergreifenden Hilfsangebote wie Kurzzeitpflege, Tagespflege, Verhinderungspflege und Entlastungsbeitrag.
Vor allem aber muss der Pflegende Angehörige alle Hilfsangebote selber organisieren! Und dies neben allen Belastungen. Dazu kommt, dass das Herumtelefonieren und Suchen von passenden Angeboten nicht gerade erfreulich ist, da man oft verständnislose Reaktionen vom Fachpersonal in Heimen etc. bekommt, die auch nicht geschult sind mit Pflegenden Angehörigen umzugehen und nicht die Zeit haben, viel zu erklären. Um es mal direkt zu formulieren: Als Pflegender Angehöriger fühlt man sich recht oft wie der letzte Depp, der die verschiedenen Stellen eher stört.
Und genau aus diesem Grund lassen es viele Pflegende Angehörige auch um Hilfe zu bitten! Es kostet nämlich sehr viel Kraft und Energie, alles zu organisieren und sich immer wieder mit komischen Reaktionen herumzuschlagen. Wobei hier die Mitarbeiter der Krankenkassen ganz oben genannt werden müssen. Sie haben nämlich leider oft sehr wenig Empathie und behandeln Pflegende Angehörige wie nervige Stubenfliegen, die sie in ihrer wichtigen und sauberen Büroarbeit störe (sorry, das musste mal gesagt werden).
Wie weit kommt man mit 125 € Entlastungsbetrag?
Die Befragten antworteten hier: Für weniger als sechs Stunden Unterstützungsleistung im Monat (72 %). Ein typischer Fall ist das Putzen. Während man für das reine Putzen in einem Pflegehaushalt wirklich Bekannte und normale Putzfrauen nehmen könnte, erlaubt die Krankenkasse nur geschultes Personal, das 40 € die Stunde berechnet. Damit ist der Betrag in 3 Stunden verbraucht.
Möchte man noch Hilfe für den Rest des Haushalts und den Garten ist nichts mehr übrig, also müssen dies die Pflegenden Angehörigen erledigen.
Sehr viele Betroffene finden in ihrer Nähe gar keine Anbieter, die zum Beispiel nur Putzen oder Gartenarbeit übernehmen würden. Die Pflegedienste wollen nur kombiniert arbeiten.
Zudem muss es sich für die Anbieter lohnen, daher wollen sie oft keine Aufträge annehmen, wo sie nur 1 h die Woche gebraucht werden.
In jedem Bundesland gibt es andere Regeln.
Den Entlastungsbetrag ansparen und anderweitig nutzen – wissen viele nicht
24% der Betroffenen wissen nicht, dass sie den Entlastungsbetrag ansparen und rückwirkend nutzen können. Dass sie damit beispielsweise die Kurzzeitpflege aufstocken können. 72 % wissen nicht, dass sie ungenutzte Pflegesachleistungen für Angebote zur Unterstützung im Alltag (je nach Landesrecht) einsetzen können.
Die Krankenkassen informieren aber nicht selbst, sondern gehen immer davon aus, dass ihr gegenüber voll informiert und quasi vom Fach ist, während Pflegende Angehörige eigentlich mit der Pflege beschäftigt sind und nicht wie die Mitarbeiter der Krankenkassen 8 h im Büro sitzen und geistig arbeiten dürfen.
Pflegende Angehörige wünschen sich eine flexiblere Nutzung des Beitrags
Viele Pflegende Angehörige wünschen sich, diesen Beitrag so nutzen zu können, wie sie ihn brauchen. Einige wünschen sich etwa Taxifahrten davon bezahlen zu können für die Arzt- und Therapietermine. Andere sagen ganz einfach, dass sie den Betrag augezahlt bekommen möchten um davon etwa private Personen für Haushalthilfe bezahlen zu können.
Es gäbe viele Personen aus dem Umfeld der Pflegenden Angehörigen, die für einen geringen Betrag bei der Pflege helfen würden, etwa stundenweise aufpassen, einfache Arbeiten erledigen, betreuen etc., aber der Einsatz ungelernter Personen wird nicht erlaubt.
Geringe Beitrag und bürokratische Hürden sind ein Mangel an Wertschätzung
Viele Pflegende Angehörige sind sich einig: Der viel zu geringe Entlastungsbeitrag und die bürokratischen Hürden zeigen den Mangel an Wertschätzung für Pflegende Angehörige. Eine echte Anerkennung der überfordernden Arbeiten würde sich auch in leicht zugänglicher, unkomplizierter Unterstützung zeigen.
Insgesamt ist das Problem der bürokratischen Hürden für geringe Beiträge einer von vielen, die den Mangel an Wertschätzung der Arbeit der Pflegenden Angehörigen betreffen.
Im Pflegealltag kämpft man ständig gegen Windmühlen ist mit vielfältigen Aufgaben überlastet und erntet von den zuständigen Stellen nicht einmal einen respektvollen, wertschätzenden Umgang.
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