Wenn die Nächte die größte Herausforderung sind – Nachtpflege
Tagsüber lässt sich vieles organisieren: Pflegedienste und Therapeuten kommen, Angehörige helfen vielleicht, und man schafft es irgendwie durch den Tag. Doch wenn die Nacht hereinbricht, wird es für viele pflegende Angehörige erst richtig schwer. Der Körper verlangt nach Schlaf und Abschalten – aber gleichzeitig hat man weiter Bereitschaftsdienst.
Wenn Pflege den Schlaf raubt
Kaum ist man eingeschlafen, geht der Alarm los: Pflegende Angehörige kennen das. Demenzkranke kennen oft keine Nachtruhe und viele andere Krankheiten lassen die Betroffenen natürlich auch nicht nachts los. Diese eigentlich naive Einstellung oder Annahme haben aber viele Außenstehende und vor allem auch Ärzte und Therapeuten. Als wenn nachts die Welt und alle Krankheiten plötzlich still stehen würden…
Demenzkranke sind oft nachtaktiv, was ein typisches Symptom ist, tagsüber dösen sie vor sich hin und sind zu nichts zu motivieren, nachts werden sie unruhig. Wenn sie körperlich noch fit sind, artet das in richtig Stress für die Angehörigen aus, denn es drohen Unfälle, Stürze, Verletzungsgefahr allgemein, aber auch Wasserschäden oder Brände. Manche verlassen einfach das Haus.
Aber auch bettlägerige Demenzkranke können die ganze Nacht für Unruhe sorgen. Sie halluzinieren und bekommen Angst und drücken deshalb die Klingel – und da immer wieder. Wer selbst nachts Demenzkranke gepflegt hat weiß, das es im Grunde gar keine Lösung gibt. Auch im Krankenhaus wird man diesem Problem nicht Herr, weil die Krankenschwestern nachts oft alleine 10 oder mehr Patienten beaufsichtigen müssen und sich nicht intensiv um einen einzigen unruhigen Dementen kümmern können.
Im Pflegeheim ist man eher darauf eingestellt, dort weiß man, dass Dienst rund um die Uhr angesagt ist und es gibt eben verschiedene Schichten. Aber auch hier können nachtaktive Patienten die anderen stören und für massive Probleme sorgen.
Pflegende Angehörige stemmen dieses Problem also alleine: Das bedeutet, tagsüber arbeiten wie normal und nachts in Bereitschaft. Man kann sich denken, dass der Schlaf dann auch, wenn nachts mal nichts ist, anders ist: Man ist immer bereit, aufzustehen und man muss immer mit dem Alarmklingeln rechnen.
Dazu kommt, dass Demente oft mehrmals hintereinander klingeln, weil sich ihr Problem nicht gelöst hat, nur weil man nach ihnen geschaut und mit ihnen geredet hat. Oder es tritt ein anderes Problem auf. Einfach ist es noch, wenn es sich um Beschwerden handelt, gegen die man etwas geben kann. Wenn es Halluzinationen oder wilde Träume sind, die als real empfunden werden, nützt nichts.
Klar, es gibt Medikamente, die „ruhig stellen“ sollen, aber sie sind nicht ideal. Sie bewirken dann oft, dass die Patienten tagsüber zu gar nichts mehr zu gebrauchen sind, also bei nichts mehr richtig mitmachen. Oder sie haben andere Nebenwirkungen, bei anderen tritt ein Gewöhnungseffekt ein.
Die sogenannte „Sundowning“-Symptomatik von Dementen – also Unruhe und Verwirrtheit in den Abend- und Nachtstunden – kann dafür sorgen, dass Angehörige kaum noch eine Nacht ungestört verbringen.
Wir hatten mit verschiedenen pflanzlichen Mitteln phasenweise Erfolg, dann aber musste man wieder abwechseln. Melatonin kann man versuchen, auch Präparate mit Passionsblume, Baldrian etc. Dies aber mit den anderen Medikamenten abstimmen.
Wer mehrere solcher Nächte hintereinander erlebt, weiß, wie zermürbend das ist. Und wie sehr man sich eine einzige ruhige Nacht wünschen würde. Viele Pflegende Angehörige kennen das auch, wenn es sich um andere Krankheiten als Demenz handelt. Sie gehen dann so damit um, dass sie sich hinlegen, wenn die pflegebedürftige Person selbst eine ruhige Phase hat, also beispielsweise nachmittags nach dem Essen oder nach dem Frühstück.
Es bleibt einem als Pflegender Angehöriger oft nicht viel anderes übrig, als seinen Alltag und seine Abläufe auf den Pflegling hin abzustimmen. Stur einen Tagesablauf durchzusetzen, führt nur zu noch mehr Stress und Nervenverschleiß. Das wiederum führt immer mehr dazu, dass man sich in der sogenannten „Pflegeblase“ befindet, also vom normalen Leben nicht mehr viel mitbekommt und sein Leben auch nicht mehr „normal“ leben kann.
Das ist aber leider oft unvermeidlich.
Was ist Nachtpflege eigentlich?
Nachtpflege ist eine Form der teilstationären Pflege, bei der Pflegebedürftige über Nacht in einer spezialisierten Einrichtung betreut werden. Sie ist im § 41 des Sozialgesetzbuches XI geregelt und richtet sich an Menschen mit Pflegegrad 2 bis 5, die nachts nicht allein bleiben können.
In der Einrichtung kümmern sich Pflegekräfte um alles, was in der Nacht anfällt:
- Hilfe beim Zubettgehen
- Unterstützung beim Toilettengang
- Medikamentengabe oder Kontrolle von medizinischen Geräten
- Betreuung und Sicherheit für Menschen mit Demenz oder nächtlicher Unruhe
Der große Vorteil: Angehörige können endlich einmal durchschlafen – mit dem guten Gefühl, dass ihr Familienmitglied gut versorgt ist.
Nachtpflege in Deutschland – gute Idee, selten umgesetzt
So sinnvoll Nachtpflege klingt – in der Praxis gibt es sie nur selten! Während Tagespflege-Einrichtungen mittlerweile in fast jeder Stadt zu finden sind, existieren bundesweit nur wenige Dutzend echte Nachtpflege-Angebote.
Gründe dafür gibt es mehrere:
- Hoher Personalaufwand (Fachkräfte über Nacht)
- Schwierige Finanzierung
- Zu wenig Einrichtungen, die räumlich und organisatorisch dafür ausgelegt sind
Dabei wäre das Konzept ideal, um Angehörige nachhaltig zu entlasten. Eine oder zwei Nächte pro Woche in professioneller Betreuung könnten schon enorm helfen – aber die Infrastruktur fehlt fast überall.
Was zahlt die Pflegekasse?
Pflegebedürftige mit Pflegegrad 2 bis 5 haben Anspruch auf teilstationäre Pflege – also Tages- und/oder Nachtpflege. Die Pflegekasse übernimmt dabei die pflegerischen Kosten, während Unterkunft und Verpflegung meist privat zu zahlen sind.
Der Clou: Diese Leistung wird zusätzlich zum Pflegegeld gezahlt – man verliert also keine Ansprüche, wenn man Nachtpflege nutzt.
Allerdings bleiben oft Eigenanteile von etwa 30 bis 50 Euro pro Nacht. Und viele Einrichtungen nehmen nur wöchentliche Buchungen an.
💡 Tipp:
Der Antrag auf Nachtpflege läuft über die Pflegekasse. Meist genügt ein formloses Schreiben oder ein Anruf, um den Anspruch prüfen zu lassen.
Warum Nachtpflege zuhause kaum möglich ist
Viele Angehörige würden ihren Pflegebedürftigen am liebsten zuhause lassen – auch nachts. Doch das ist kaum realistisch. Ambulante Pflegedienste bieten Nachtdienste nur in Ausnahmefällen an, da sie wirtschaftlich schwer zu stemmen sind.
Eine durchgehende Nachtwache bedeutet eine achtstündige Fachkraft-Schicht, die bezahlt, versichert und organisiert werden muss. Für die meisten Familien unbezahlbar.
Zwar gibt es 24-Stunden-Betreuung durch osteuropäische Betreuungskräfte, die theoretisch auch nachts anwesend sind – in der Praxis ist das jedoch rechtlich und organisatorisch oft schwierig, da auch diese Personen Schlafzeiten benötigen.
Ganz ohne Hilfe muss man aber nicht bleiben. Es gibt einige Wege, die Nächte zumindest etwas zu entlasten:
- Kurzzeitpflege: Wenn man ein paar Nächte am Stück Ruhe braucht, z. B. zur Erholung.
- Tagespflege + Entlastungsbetrag: Tagsüber Entlastung organisieren, um die Nächte besser zu bewältigen.
- Technische Hilfen: Notrufsysteme, Bewegungssensoren oder Kameras mit Alarmfunktion geben Sicherheit, ohne ständig wach zu bleiben.
- Selbsthilfegruppen: Der Austausch mit anderen Betroffenen hilft, Strategien und Unterstützung zu finden.
Einige Kommunen oder Wohlfahrtsverbände experimentieren derzeit auch mit ehrenamtlicher Nachtwache – ein Modell, das vielen helfen könnte, wenn es bekannter würde.
Schlaf darf kein Luxus für Pflegende sein
Pflege ist ein 24-Stunden-Job – und die Nacht ist oft der härteste Teil davon. Angehörige brauchen dringend mehr Unterstützung, um nicht selbst krank zu werden. Nachtpflege könnte ein wichtiger Baustein sein, um diese Belastung aufzufangen.
Doch solange es zu wenige Einrichtungen, zu wenig Personal und zu wenig Förderung gibt, bleibt sie für viele nur eine theoretische Option.
Hier muss dringend angesetzt werden und an flexiblen Lösungen gearbeitet werden. Nachtpflege bedeutet ja nicht automatisch, dass nachts richtig durchgearbeitet wird, sondern oft nur Bereitschaft. Jemand ist da, wenn der Pflegebedürftige Beschwerden hat, Ängste oder durcheinander ist. Diese Bereitschaft ließe sich auch wie ein Nebenjob parallel zu anderen Arbeiten wie Lernen oder am Notebook erledigen, aber eben von Personen, die dann die Nachtruhe tagsüber nachholen können.


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