Die Pflegeblase – wenn Pflegende die Welt um sich herum vergessen müssen
„Da hast du wohl in der Pflegeblase gelebt.“ – Dieser Satz trifft viele, die sich über längere Zeit um einen Angehörigen kümmern. Oft merken sie erst im Nachhinein, wie sehr sich ihr Leben während der Pflege verändert hat – und wie weit sie sich unbemerkt vom normalen Alltag und gesellschaftlichen Leben entfernt haben.
Was ist die Pflegeblase?
Mit Pflegeblase ist kein medizinischer oder psychologischer Begriff gemeint, sondern ein Bild. Es beschreibt, was passiert, wenn Pflege den Alltag vollständig bestimmt. Pflegende Angehörige leben dann in einer Art geschlossenen Welt, in der sich alles um die zu betreuende Person dreht – vom Aufstehen bis zum Schlafengehen. Und nachts natürlich auch noch!
Von außen betrachtet wirkt es, als wäre die Zeit in dieser Blase stehen geblieben: Während andere von neuen Erlebnissen, Urlauben, Berufsalltag oder auch nur Renovierungen sprechen, haben Pflegende kaum mehr einen Bezug dazu. Sie leben mit voller Aufmerksamkeit im Hier und Jetzt der Pflege – und bekommen das „normale Leben“ kaum noch mit.
Warum man die Pflegeblase oft gar nicht bemerkt
Pflegende tun, was getan werden muss – Tag für Tag. Termine, Medikamente ordern und sortieren, Körperpflege, Beschäftigungsmöglichkeiten, Arztbesuche, Haushalt, Essen, Organisation – das alles lässt wenig Raum zum Nachdenken.
Der Rückzug aus dem sozialen Leben passiert schleichend: Man sagt Treffen ab, weil man müde ist oder nicht weg kann. Oft aber auch, weil Außenstehende den eigenen Alltag gar nicht verstehen.
Was passiert in der Pflegeblase?
In dieser Phase verengt sich der Blick auf das unmittelbare Umfeld.
- Das Leben anderer läuft weiter, während die eigene Welt kleiner wird.
- Themen, die früher wichtig waren, spielen plötzlich keine Rolle mehr.
- Zeitgefühl und soziale Bindungen verändern sich.
- Pflegende definieren sich notgedrungen fast nur noch über ihre Aufgabe.
Das führt nicht selten zu sozialer Isolation, Überforderung und Erschöpfung. Die Grenze, wann es echt zu viel wird, wird oft nicht mehr wahrgenommen, eben weil niemand auf einen aufpasst! Die zu pflegende Person kennt keine Grenzen, sie ist rund um die Uhr hilflos und bedürftig. Man kann ihr keine Vorwürfe machen, wenn sie einen überfordert und überlastet.
Leider aber ist unser Pflegesystem auch nicht so geartet, dass sie Bremsen einbaut, wenn Pflegende Angehörige sich überlasten und die gesundheitlichen Grenzen überschreiten. Im Gegenteil, die Krankenkassen behandeln Pflegende Angehörige noch immer gerne mal von oben herab und wie lästige Bittsteller.
Es ist keine Lobby da, die sich um die Gesundheit der Pflegenden Angehörigen sorgt und einschreitet.
Wenn die Welt sich wieder öffnet – und das Leben wiederkehrt
Viele ehemalige Pflegende erzählen, dass sie erst nach der Pflege realisieren, wie sehr sie abgeschnitten waren – von allem, was normal ist.
Plötzlich haben sie wieder Zeit – und manche merken, dass sie nicht wissen, was sie damit anfangen sollen. Die Welt draussen hat sich weitergedreht, während sie stehengeblieben sind. Dieser Moment kann befreiend, aber auch schmerzhaft sein.
Es hat aber auch gute Seiten, wie vieles im Leben. Die Pflegezeit hat etwas Meditatives, Echtes, Ursprüngliches. Sich intensiv um einen hilfsbedürftigen Menschen zu kümmern, ist das Natürlichste, was es gibt. Leider wird das in unserer Leistungs- und Spaßgesellschaft aber nicht so wahrgenommen. Man gilt eher als uncool, wenn man seine eigenen Interessen so hintanstellt.
Aber es passieren auch spirituelle Dinge mit Pflegenden: Oberflächliche Dinge und Themen interessieren nicht mehr. Man bekommt ein gewisses Gespür für andere Menschen, lässt sich weniger beeindrucken und manipulieren.
Das phasenweise komplette Ausschalten des eigenen Egos bewirkt sehr viel, auch Stressresistenz in anderen Bereichen. Man braucht weniger Zustimmung von anderen, weil man die Pflege ohnehin alleine gewuppt hat. Zudem wird das normale Leben nach der Pflegephase viel intensiver wahrgenommen, man kann sagen, die Sinne haben sich wieder geschärft oder erneuert. Pflegende haben eine sehr intensive Erfahrung gemacht, die sie von anderen trennt, aber auf einer bestimmten Ebene weiter gebracht hat.


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